Pflegschaftsvorsitzende des HHG in der WAZ
Die Schulen sind kein Ort für Experimente
Ute Hildebrand-Schute / WAZ 18. Juli 2015
Waltraud Dahl ist Pflegschaftsvorsitzende am Heinrich-Heine-Gymnasium und kritisiert die Schulpolitik. Sie fordert mehr Personal und kleinere Klassen.
http://www.derwesten.de/staedte/bottrop/die-schulen-sind-kein-ort-fuer-experimente-id10891895.html
„Ich könnte mich da stundenlang drüber aufregen“, stellt Waltraud Dahl fest wenn sie – einmal in Fahrt geraten – über das Schulsystem spricht. „Es wird herum experimentiert, immer nur bis zum Tellerrand geguckt und nicht darüber hinaus.“ Eines der „Experimente“, deren Opfer auch ihre beiden Kinder sind, ist G 8 an den Gymnasien. Ihr Sohn, der 2013 das Abitur gemacht hat und inzwischen Jura studiert, war in dem ersten Jahrgang, der das Abi in acht statt neun Jahren schaffen musste, die Tochter macht in einem Jahr ihr Abitur. „Ich habe beobachtet, die Kinder könnten das eine Jahr noch gut gebrauchen. Viele sind orientierungslos“, erklärt die Schulpflegschaftsvorsitzende des Heinrich-Heine-Gymnasiums.
Viele Abiturienten des Doppeljahrgangs von 2013 hätten sich erst einmal gar nicht beworben, andere hatten mit dem höheren Numerus Clausus (NC) an den Universitäten zu kämpfen als Folge der Bewerberflut. Das war das schwierige Ende der achtjährigen Gymnasialzeit nach einem ebenso schwierigen Start. „G8 wurde überhastet eingeführt, die Schulen waren völlig unvorbereitet“, erinnert sich Waltraud Dahl. „Es gab keine passenden Schulbücher, die Lehrer mussten fürchterlich improvisieren.“ Das habe zu heftigen Verwerfungen an den Schulen geführt, zu schweren Tornistern bei Fünftklässlern, zu vielen Diskussionen in der Schulpflegschaft, zu Konflikten mit manchen Lehrern, die ihr Programm wie gewohnt durchziehen wollten. Am Ende wurde am Heinrich-Heine-Gymnasium ein Weg mit G 8 gefunden mit überwiegend Doppelstunden, viel Nachmittagsunterricht und dem Bau einer Mensa. Die Curricular wurden überarbeitet, man machte sich Gedanken über die Hausaufgaben.
„Es hat mehrere Schuljahre gedauert, bis es einigermaßen rund lief“, erinnert sich die Schulpflegschaftsvorsitzende, die auch deshalb der Forderung einer Volksinitiative, zu G 9 zurückzukehren, zwiegespalten gegenüber steht. Im Juni ist diese Forderung im Landtag abgelehnt worden. Waltraud Dahl bedauert, dass es in NRW erst im letzten Jahr einen „runden Tisch“ zu G 8 gegeben habe. Am Grundproblem habe man dort allerdings nichts geändert, sondern nur „kosmetische Korrekturen“ vorgenommen. „Die Hauptlast tragen weiterhin die Schüler und die Lehrer.“
Ein schwerer Start
Die Kleinen, die von der Grundschule aufs Gymnasium kommen, seien „richtig gebeutelt“, meint die Mutter. Für Schüler „denen das nicht in den Schoß fällt“, müsste schon in der 5. Klasse Nachhilfe organisiert werden. „Und wenn’s dann auf die Oberstufe zugeht, hören sie mit den Hobbys auf, weil es ihnen zu viel wird.“ Ihre 17-jährige Tochter habe viermal in der Woche Nachmittagsunterricht, für Verabredungen bleibe unter der Woche kaum Zeit. „Deshalb machen die auch so viel mit ihren Smartphones, als Ersatz für richtige Gespräche.“ Auch der Familienalltag habe sich verändert durch G8, die gemeinsame Zeit ist weniger geworden.
Ein weiteres Problem sieht die Schulpflegschaftsvorsitzende darin, dass Schulabschlüsse „systematisch abgewertet“ würden. „Der Hauptschulabschluss ist nichts mehr wert, dem Realschulabschluss geht es an den Kragen. Und ein Abi mit einer zwei vor dem Komma ist auch nicht mehr so viel wert.“ Und dann sei in Nordrhein-Westfalen ja im letzten Jahr mit der Inklusion auch schon das nächste Experiment mit unzureichenden Voraussetzungen losgegangen, kritisiert Waltraud Dahl. „Jedes Kind hat ein Recht darauf, optimal gefördert zu werden. Aber die schiere Klassengröße ermöglicht es nicht, allen Kindern gerecht zu werden.“ Die Klassen müssten kleiner und die Schulen personell besser ausgestattet werden, auch mit Schulpsychologen und Schulsozialarbeitern.
Sie selber hat 1979 das Abitur gemacht. „Es hat sich eigentlich nicht viel verbessert. Auch damals gab es zu wenig Lehrer und die Ausstattung der Schulen waren nicht gut.“