Ex-HHG-Schüler über Bottroper DKP-Legende

Ein Vorbild, das aus dem Knast kam

Der Katholik Markus Günther schreibt über den Kommunisten Clemens Kraienhorst. Einer von 30 Beiträgen, die jetzt im „Vorbilderbuch“ erschienen sind.
Clemens Kraienhorst (r.) vereidigt 1979 Oberbürgermeister Ernst Wilczok im Bottroper Rathaus. (Bild: Birgit Schweizer)

Die Bücher „vonne Ruhr“ des kleinen Bottroper Verlags Henselowsky Boschmann sind immer wieder für Überraschungen gut. Jetzt ist ein „Vorbilderbuch“ so ganz ohne Bilder erschienen. Und die braucht es auch gar nicht. Denn es geht kaum um den visuellen Wiedererkennungswert großer Helden, Idole, Wegbereiter die Weltgeschichte geschrieben haben, im Heiligenkalender stehen oder nach denen Straßen benannt sind. Doch, eine Ausnahme bestätigt auch hier die Regel: Wenn der konservative Katholik – wie sich der gebürtige Bottroper Markus Günther selbst bezeichnet – über den Kommunisten Clemens Kraienhorst schreibt, wissen die Bottroper: Der Kraienhorst hat eine Straße auf dem Eigen. Dort, wo auch Rheinbaben war, die Zeche, deren Betriebsratsvorsitzender der Bergmann Kraienhorst einst war.

Markus Günther [HHG-Abiturient 1986], früher USA-Korrespondent dieser Zeitung, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, freier Autor und seit diesem Jahr Kommunikationsdirektor des Erzbistums Köln, zeichnet nicht nur prägnant und kompakt den Lebensweg eines Mannes nach, der nicht nur von den Nazis verfolgt wurde, sondern nach dem Krieg auch in „Adenauers Knast“ saß, in den Jahren eines „hysterischen Antikommunismus“. So beschreibt Günther diese Epoche, als man mit Rosenkranzgebeten gegen den Kommunismus zu Felde zog, dessen Ende letztlich wiederum ein polnischer Papst mit eingeläutet hat.

Jenseits aller Ideologien

Fein, leicht ironisch, zeichnet der Autor das Bild eines Mannes, dessen Haltung, Charakter und Unbeugsamkeit ihn jenseits aller Ideologien beeindruckte – und den bürgerlichen Katholiken sogar veranlasste, das Kreuz bei seiner ersten Wahl für Kraienhorsts DKP zu machen. Vielleicht einer der beeindruckendsten Texte des Vorbilderbuches mit seinen 30 Autorinnen und Autoren, von denen einige Bottroper Wurzeln oder heute in der Stadt ihren Lebensmittelpunkt haben.

Weichenstellung fürs Leben

Für einen anderen ehemaligen WAZ-Kollegen, Werner Streletz, war Martin Blankenburg in Bottrop das, was man heute vielleicht „Influencer“ nennen würde. Nur, dass der spätere Frontmann der „Rickets“ keine Werbebotschaften verkündete, sondern ebenfalls für eine Haltung, eine Jugendkultur der späten 60er und frühen 70er Jahre stand, in der auch Dichter wie Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire oder die Surrealisten eine Rolle spielten. Sicherlich auch damals kein Bottroper Mainstream, aber für ein späteres Mitglied des PEN-Clubs und Literaturpreisträger wie Streletz vorbildlich.

Überhaupt sind es die Vorbilder, die die Autoren auf „eine Spur setzten“, wie man salopp sagt, die ein Stück weit deren Leben prägten oder denen sie im Beruf nacheifern wollten. So wie die Bottroper Lehrerin Margret Martin, deren Grundschullehrerin offensichtlich schon in den prügelnden 50er Jahren der Bezeichnung „Pädagogin“ alle Ehre machte und so die berühmte Weiche fürs Leben stellte. Da gibt es Bilder von Bodenständigkeit, die fast ausgestorben scheint. Wie jene „Tammaria“, eine Großtante, die für den früheren Chef des Klartext-Verlags, Ludger Claßen, eine Art Fenster in die vergangene Zeit des vorindustriellen bäuerlichen Ruhrgebiets war. Tanten wie Maria waren wie ein emotionales Zentrum der Familie, das Kinder wie Erwachsene warm umfing und dabei alle Techniken häuslicher Daseinsvorsorge noch fast technikfrei beherrschte.

Ohne erhobenen Zeigefinger

Den Charme des Vorbilderbuches macht auch das breite Spektrum aus. Eben eine kleine Galerie der Menschlichkeit, wie der Klappentext hier treffend formuliert. Wer Ulrike Gefferts „Adenauer! Oder vielleicht doch eher Che Guevara“ liest, erlebt auf jeden Fall eine Überraschung, während Hermann Beckfelds „Willi“ irgendwo zwischen Original, Kumpel und Charakterkopf changiert, dessen Motto auch lauten könnte „Bleibense Mensch!“ Und das Ganze kommt ohne erhobenen Zeigefinger oder penetrant verkündete Möglichkeiten für gute Vorsätze daher. Lesbar – durch ein ganzes Jahr.

Quelle: Dirk Aschendorf / WAZ Bottrop vom 31.12.2019