Ankommen und Aufholen als Clown, Fakir oder Akrobat
Wie können nach den Jahren der Pandemie Lernrückstände abgebaut, aber auch das soziale Miteinander in den Schulen und Klassen wieder gestärkt werden? Das Bildungsbüro Bottrop hat sich für ein Zirkus-Projekt entschieden und zieht eine positive Bilanz.
[Schule NRW 04-23]
Im Rahmen des Förderprogrammes „Ankommen und Aufholen nach Corona“ hat das Ministerium für Schule und Bildung unter anderem finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, um allen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, pandemiebedingte Lernrückstände im Schulbereich abzubauen und Lernlücken zu schließen. Ein schönes Beispiel, wie das in der Praxis aussehen kann, liefert das Zirkusprojekt des Bildungsbüros Bottrop.
Zirkusschule für alle sechsten Klassen in Bottrop
„Ich hatte stellenweise Tränen in den Augen, wenn ich Kinder losgelöst von ihren sozialen, familiären oder psychischen Herausforderungen in der Manege gesehen habe und konnte es kaum fassen, was das ganze Team in einer so kurzen Zeit auf die Beine gestellt hat.“ Diese positive Rückmeldung einer Klassenlehrerin steht keinesfalls alleine und gibt den Erfolg des schulformübergreifenden Zirkusprojektes wieder, das das Bildungsbüro Bottrop im August und September des vergangenen Jahres mit dem Extra-Geld aus dem Aktionsprogramm „Ankommen und Aufholen“ realisiert hat.
Im Zeitraum vom 15. August bis zum 17. September 2022 hatten alle Klassen der Jahrgangsstufe 6 der Stadt Bottrop die Möglichkeit, mit der Familie des Circus Casselly in sechs Workshops alles zu lernen, was für eine echte Zirkusaufführung nötig ist. Jeweils anderthalb Tage lang trainierten immer drei Klassen gleichzeitig in ihren Workshop-Gruppen. Insgesamt über tausend Schülerinnen und Schüler probierten sich am Trampolin, Römischen Tuch oder als Clown, Fakir, Akrobat und Jongleur aus. Dass vor allem das Erkennen und Erproben der eigenen Stärken wichtig war, bestätigt eine Schülerin: „Ich fand das Zirkusprojekt super. Das Schöne war, dass man die Sachen erst einmal ausprobieren und sich dann für etwas entscheiden konnte.“
So konnten die Kinder der jeweiligen Schulen klassenübergreifend in kurzer Zeit ein eigenes Zirkusprogramm einstudieren und ihren Familien in einer Galavorstellung vor rund dreihundert Zuschauerinnen und Zuschauern zeigen, was sie erarbeitet haben. Gerade die Möglichkeit einer Aufführung vor Publikum erfährt viel positive Rückmeldung. „Es ist erstaunlich, wie sich die Kinder in so kurzer Zeit entwickelt haben. Ihr gewachsenes Selbstbewusstsein war spürbar. Auch untereinander konnten sie sich anders erleben als sonst und hatten durch alle diese Erfahrungen zwei durchweg aufregende Tage“, äußert sich eine Bottroper Lehrkraft zum Projekt.
Wie fiel die Entscheidung nun gerade für ein Zirkusprojekt?
Zunächst stellte die Schulorganisation der Stadt Bottrop ein eigenes internes „Ankommen und Aufholen“–Team auf die Beine. Gemeinsam wurde überlegt, welche Herangehensweise mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln aus dem Programm zielführend wäre, um möglichst vielen Schülerinnen und Schülern aus allen Schulformen Angebote unterbreiten und pandemiebedingte Lern- und Erfahrungsrückstände auffangen zu können. Die Angebote sollten alle Bereiche einschließen, in denen aufgeholt werden soll, wie beispielsweise sozial-emotionale, körperlich-motorische und sprachliche Kompetenzen. So fiel die Wahl unter anderem auf ein Zirkusprojekt, worin eine Vielzahl dieser Kompetenzen vereint werden konnte.
Nach Rücksprachen mit der Schulsozialarbeit und mit den Schulleitungen stellte sich schnell heraus, dass der Unterstützungsbedarf der Schülerinnen und Schüler der sechsten Klassen besonders groß war. Wegen der Pandemie hatten nur wenige Übergangsprojekte von der Grundschule in die weiterführende Schule stattgefunden, das erste Kennenlernen in den neuen Klassen war entweder durch Distanzlernen beeinträchtigt oder es mussten fortdauernd Masken getragen werden. „Deshalb lag der Fokus bei diesem Projekt auf dem Bereich des sozial-emotionalen Lernens und auf Aktivitäten, die das Miteinander-Lernen stärken, auf Gruppenbildungsangeboten, Gesundheits- und Bewegungsangeboten sowie dem Besuch eines außerschulischen Lernorts, der in der zweijährigen Pandemiezeit nicht umzusetzen war“, begründet das Bildungsbüro die Entscheidung.
Der komplette Ablauf des Zirkusprojektes wurde vom Bildungsbüro organisiert. Hierzu gehörten neben dem Einholen einer Vielzahl von Vergleichsangeboten jeglicher Art auch die Kommunikation mit den einzelnen Vertrauens- und Klassenlehrerinnen und -lehrern sowie die An- und Abreise der Schulklassen. Auch der Auf- und Abbau des Zirkus-Zeltes musste natürlich geplant werden. Durch die Unterstützung von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sowie der städtischen freiwilligen Feuerwehr konnte die Manege aber pünktlich freigegeben werden. Andere Ämter der Stadtverwaltung unterstützten wiederum bei der Reinigung und der Einzäunung des Geländes, ohne dass hierfür zusätzliche Kosten entstanden.
„Die Kooperation mit Schulorganisation, Bildungsbüro und den Bottroper Schulen funktionierte dank Extra-Geld vom Ministerium für Schule und Bildung und der zusätzlich von der Stadt geschaffenen Stelle, die im Rahmen der Bildungskoordination auch für das ‚Ankommen und Aufholen‘-Programm verantwortlich ist, hervorragend“, zieht das Bildungsbüro Bilanz.
„Ich möchte das jedes Jahr machen. Es war super.“
Insbesondere um die Klassengemeinschaften zu stärken, fiel die Wahl auf die sechsten Klassen. Dass dieses Ziel erreicht werden konnte, meldete eine Lehrkraft nach dem Projekt freudig zurück: „Die Schülerinnen und Schüler haben ganz neue Seiten an sich entdeckt und der Zusammenhalt sowie der Respekt untereinander sind deutlich gewachsen.“
Auch das Bildungsbüro selbst stuft das Projekt als vollen Erfolg ein: „Ein besonderes Erlebnis aus unserer Sicht war es zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Hintergründen in einem Team respektvoll, hilfsbereit und rücksichtsvoll zusammen eine Zirkusgala auf die Beine gestellt haben. Die Kinder zeigten Mut, neue Talente, Ausdauer und auch Umgang mit Frustrationen oder Wut, weil das Üben Geduld erforderte oder sie vielleicht nicht in ihre Wunschgruppe gehen konnten, sondern sich auf Neues oder Anderes als geplant einlassen mussten. Alles Voraussetzungen, die den Kindern in zukünftigen Gemeinschaftserlebnissen hilfreich sein werden und ihre Resilienz stärken.“
Autorin: Janine Westphal, Ministerium für Schule und Bildung NRW
Quelle: https://www.schulministerium.nrw/ankommen-und-aufholen-als-clown-fakir-oder-akrobat [18.04.2023]