Die deutsche Sprache im Zeitalter von Whats-App, Facebook & Co. – Ein Plädoyer von Robin Biersa
Zu dem Thema „Whats-App, Facebook…: So beeinflussen soziale Medien die deutsche Sprache“, sollten die Schülerinnen und Schüler des Deutsch-Grundkurses der Jahrgangsstufe Q2 zu der These, es handle sich bei der Einflussnahme sozialer Medien auf die deutsche Sprache um Sprachverfall, ein Plädoyer verfassen. Es folgt ein Plädoyer von Robin Biersa (Q2):
„Gucken“ mit k am Anfang: Das ist heutzutage grammatikalisch korrekt. Doch wieso regen sich [so] viele Menschen darüber auf, akzeptieren aber Änderungen wie „dass“ mit zwei ‚s‘ statt‚ scharfem ‚s‘ [ß], oder dass „wie viel“ nicht mehr zusammengeschrieben werden darf? Kucken mit k macht doch Sinn – oder ergibt das Sinn?
Ich kann diese Frage genauso wenig beantworten wie jeder andere. Die Sprache ist so komplex, wie der Mensch, der sie spricht. Doch wieso stimmt das?
Soziale Medien wuchsen auf den Stand einer sozialen Instanz; sie sublimieren sich vom bloßen Amüsement und politischen Werkzeug auf eine Ebene der direkten und suggestiven menschlichen Beeinflussung oder Manipulation. Denn nun beginnen Menschen, Milliarden Informationen auf Knopfdruck bereit zu haben, vergessen diesen aber zu drücken – wollen ihn nicht drücken – und beginnen am Hebel zu ziehen, wieder und immer wieder: die ultimative Dopamindroge. Da Süchtige sich zwar der menschlichen Reife entziehen, aber nicht der menschlichen Natur, beginnen sie, sozial Gleichgesinnte zu suchen und zu finden; sie mögen sich auch als die „öffentlichen Alkoholiker“ verkaufen.
„Zeig mir deine fünf Freunde, und ich sag dir, wer du bist – zeig mir deine fünf Wörter, und ich zeig dir, mit wem du sprichst.“ Unter Kennenden beginnt die eigene, kleine Kreation einer soziolektalen, subsystematischen Sprache. Denn unter Kennenden benutzt man nur gekannte Wörter, ein Dogma der Kommunikation, welches übrigens auch auf Fremde und Familie zutrifft. Zwangsläufig muss sich die Sprache des Menschen ändern, da er sich selbst beginnt zu ändern. Alles nun, was ihn ausmacht, Sprache, Charakter, Persönlichkeit beginnt sich zu formen und umzuformen. Konvergent suchen sie – und sie finden – einen gemeinsamen Nenner, seine Entität ist geboren.
Nun beginnt der nächste Schritt: Die Entität sucht ihre Identität. Folglich beginnt die Suche und endet auch die Observation: Sprache und Identität ergeben eine gänzlich neue Thematik, welche nicht zu untersuchen von Nöten ist: die Sprache ist nicht verfallen, sondern bereits zerfallen. Die Schere der Sprache wächst äquivalent mit der Schere zwischen arm und reich, denn es wächst auch die Kluft zwischen armen und reichen Entitäten, spracharmen und eloquenten Menschen.
Dabei ist Eloquenz klar definiert: fachsprachliche, gehobene Rede. Viele sind meist erstaunt, wozu die deutsche Sprache in der Lage ist, und oft assoziiert diese Masse Wortgewandtheit und Bildung, wozu die Antwort so ja ist, dass nein falsch wäre, faktisch falsch, was leicht begründbar ist: Wörter werden zwar in den Mund gelegt, aber nicht vom Himmel serviert. Das Wort, die Sprache steckt im Buch, nicht im Internet, in dem in Artikeln Meinungen sich bestätigen und Gleichsüchtige unter Gleichgesinnten gleichen und sich gleichen, unter dem Gleichnis: Mehrheit sei Wahrheit und Wahrheit sei Meinung – ihre Meinung.
Bücher sind unsterblich – die Sprache in ihnen auch. Sie zeigen uns auf, wie Menschen gedacht, gehandelt und gefühlt haben. Diese Erkenntnis obsiegt jede Mortalität und unterliegt jeder Unterstellung, sie sei obsolet jeder Einstellung und Umsetzung, sie müsse und werde nicht gelesen werden. Doch Wahrheit liegt nur in den Menschen. In den Menschen liegen Gedanken, in den Gedanken liegen Wörter, in den Wörtern liegt Sprache, und in der Sprache liegt Vernunft.
Und damit ist das Postulat wahr: Die Sprache ist so komplex, wie der Mensch, der sie spricht.
Bottrop, 10.11.20